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Existentielle Coaching & Logotherapie

Von Effizienz zu Anonymität: Wie eine Systemlogik den Menschen aus den Augen verliert

In einer Zeit, in der Politik und Geschäftsabläufe zunehmend von Daten, Protokollen und Leistungslogik bestimmt werden, scheint die menschliche Dimension in den Hintergrund zu treten. Effizienzdenken wird weithin als Schlüssel zu Wachstum und Fortschritt gepriesen, hat aber eine Kehrseite, die oft unterschätzt wird: die strukturelle Anonymisierung der Gesellschaft.

Dieser Artikel untersucht, wie das Streben nach Prozessoptimierung zu einem Verlust menschlicher Begegnung und moralischer Verantwortung führt und wie dies anhand der Arbeiten von Hannah Arendt, Hartmut Rosa und Byung-Chul Han philosophisch interpretiert werden kann. Er stellt außerdem einen alternativen Ansatz vor, der Mitarbeiter einlädt und befähigt, Führung und Verantwortung für (Teil-)Prozesse zu übernehmen.

Effizienzdenken konzentriert sich auf die Optimierung von Prozessen mit dem Ziel, den Input zu minimieren und den Output zu maximieren. Schnell, reichlich und kostengünstig lautet das Motto. In dieser Logik sind Menschen nicht primär einzigartige Wesen mit Geschichten und Werten, sondern vielmehr Glieder in einem größeren System. Dieses System funktioniert am besten, wenn jede Verbindung vordefinierten Standards entspricht, was zu Standardisierung, Automatisierung und Skalierung führt.

Während dieses Modell oft zu kurzfristigen Kosteneinsparungen und Leistungssteigerungen führt, verändert es grundlegend unsere Sicht auf Menschen und unseren Umgang mit ihnen. Wo einst menschliche Präsenz im Mittelpunkt von Pflege, Leistungserbringung und Governance stand, wird sie heute durch Dashboards, Risikoprofile und automatisierte Prozesse ersetzt.

Ein ergreifendes Beispiel ist der niederländische Sozialleistungsskandal. Tausende Eltern wurden von algorithmischen Systemen fälschlicherweise als Betrüger eingestuft. Es gab keinen Raum für persönliches Urteilsvermögen oder menschliches Eingreifen; Beamte handelten nach der Systemlogik, ohne moralischen Spielraum. Menschen wurden auf Profile reduziert.

Wir beobachten dieses Muster auch in der Geschäftswelt. Callcenter-Mitarbeiter und Mitarbeiter im Außendienst arbeiten nach Skripten und KPIs. Kunden werden kategorisiert und nach Protokollen behandelt, die auf Geschwindigkeit und Kostensenkung ausgerichtet sind. Die Beziehung verkommt zu einer Transaktion; Gegenseitigkeit verschwindet.

In „Die Banalität des Bösen“, einer Analyse des Eichmann-Prozesses, warnte Hannah Arendt vor den Gefahren der Gedankenlosigkeit in bürokratischen Systemen. Sie argumentierte, dass das Böse nicht immer aus böswilliger Absicht entspringt, sondern oft aus der blinden Befolgung von Regeln ohne moralische Reflexion. Im Skandal um das Kinderbetreuungsgeld wurde die Politik von Menschen umgesetzt, die „nur ihre Arbeit machten“. Moralische Verantwortung löste sich in systemischem Druck auf.

Laut Hartmut Rosa leidet die moderne Menschheit unter einer Gesellschaft, die sich ständig beschleunigt. Diese Beschleunigung führt zu Entfremdung und einem Verlust der Resonanz: der tiefen, wechselseitigen Verbindung zwischen Mensch und Welt. In Organisationen, die auf Ziele und Geschwindigkeit ausgerichtet sind, verschwinden Begegnungen, in denen sich Menschen gesehen und gehört fühlen. Was bleibt, ist funktionale Interaktion ohne Tiefe.

Byung-Chul Han beschreibt, wie das neoliberale Streben nach Transparenz und Kontrolle zu einer Gesellschaft führt, in der alles sichtbar, messbar und vergleichbar sein muss. Menschen werden auf Daten und Leistungen reduziert. Das Einzigartige, das Verletzliche und das Relationale verschwinden aus dem Blickfeld. In Organisationen und Politik werden Menschen zu Ressourcen, nicht zu Personen.

Die Ethik der Begegnung

Diese drei Denker zeigen jeweils auf ihre Weise, wie effizienzbasiertes Denken zur Anonymisierung führt: Arendt durch die Gedankenlosigkeit der Systemanhänger, Rosa durch den Verlust von Resonanz, Han durch die Datafizierung der Existenz. Was fehlt, ist die wahre Begegnung mit dem Anderen als Anderem.

Als Gesellschaft stehen wir vor einer ethischen Entscheidung: Optimieren wir weiter auf Kosten der Verbundenheit? Oder wagen wir es, Systeme so zu gestalten, dass sie Raum für Menschlichkeit, Reflexion und relationale Verantwortung lassen?

Ohne Prozessoptimierung und Effizienzstreben pauschal abtun zu wollen, lade ich die Leser ein, in Organisationen und der Politik strukturell Raum für das zu schaffen, was nicht optimiert werden kann: den einzigartigen Menschen in seiner Verletzlichkeit, seiner Geschichte und seiner Würde.

Programme und Projekte wie „Purpose Orientierung“, „Purpose orientierte Führung“ und „Purpose basierte Entscheidungsfindung“, die Entwicklung einer „werteorientierten Kultur“ und „ethische Kompetenz“ weisen bereits in diese Richtung. Es wächst das Bewusstsein, dass mit dieser einseitigen Entwicklung etwas verloren gegangen ist. 

* „Purpose“ wird von Google mit „Ziel oder Zweck“ übersetzt, wodurch der sinn- und wertstiftende Aspekt des Wortes verloren geht. Deshalb bleibe ich hier bei „Purpose“.

Alternativer Ansatz

Meiner Meinung nach sollten solche Initiativen durch ein methodisches System unterstützt werden, das Mitarbeiter befähigt, Führung und Verantwortung für ihre (Teil-)Prozesse zu übernehmen.

Ein solcher Ansatz baut auf der Vision und Mission der Organisation auf und übersetzt diese in eine Werte-Kompetenz-Matrix, die auf den spezifischen Aufgabenbereich einer bestimmten Mitarbeitergruppe zugeschnitten ist:

• Welche Ergebnisse benötigt der Kunde/die Organisation?

• Welche Verantwortlichkeiten und Befugnisse übernehmen die Mitarbeiter?

• Welche Kompetenzen sind vorhanden/müssen entwickelt werden?

• Wie wird die Erreichung von Ergebnissen und Zielen überwacht?

Bei Bedarf wird dieser Ansatz durch Schulungen und Coaching unterstützt.

Vorteile der Wiedereinführung der Begegnung:

Bei einem solchen Ansatz versuchen wir nicht mehr, Prozesse in Protokollen festzuhalten. Indem wir die Einzigartigkeit des Mitarbeiters, der Situation, des (internen) Kunden und seiner Wünsche akzeptieren, werden sowohl die Situation als auch die Beziehung neu definiert.

Der Mitarbeiter wird auf der Grundlage seiner Fähigkeiten und Wünsche angesprochen. Das Zuhören auf den Kunden und seine Wünsche rückt in den Mittelpunkt. Durch die Verknüpfung dieser Bedürfnisse mit der Vision, Mission und den Werten des Unternehmens werden die Mitarbeiter herausgefordert, eine passende Antwort auf die aktuelle Situation zu formulieren. Das Werte-Kompetenz-Matrix-System unterstützt dabei, die optimale Antwort zu finden.

Kunden und Mitarbeiter treten aus der Anonymität heraus und fühlen sich anerkannt und gehört. Das Unternehmen entwickelt ein System, das neben kontinuierlicher Effizienz sowohl Mitarbeiter als auch Kunden als einzigartige Individuen mit ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen anerkennt. Auch wenn für eine der beiden Seiten nicht sofort eine inhaltlich zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann, macht die Begegnung den entscheidenden Unterschied.

Henning Zorn, Juli 2025

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